Bevor ich im November 2011 in die Wüste startete wollte ich von Giza aus noch das "Ramses Wissa Wassef Art Centers“ besuchen. Wir fuhren zunächst über die Pyramid-Road und bogen später an einem Kanal in Richtung Sakkara ab. Genau an dieser Abzweigung befindet sich ein Mini-Busbahnhof, gibt es einige Lebensmittel- und Fastfood-Stände, damit die Reisenden nicht hungern müssen. Die Busse standen auf der Kanalseite und PKW`s fuhren kreuz und quer, so das ein Durchkommen nicht ganz so einfach und reibungslos war. Typisch Ägyptisch halt!
Unser Ziel befindet sich im Dorf Haraniya. Nachdem der Verkehrsknotenpunkt dann doch irgendwie überwunden war, ging es weiter geradeaus, bogen dann einem Hinweisschild folgend nach rechts ab, später noch mal rechts, wichen in der ersten Seitenstraße einem Eselskarren aus, fuhren noch ein paar hundert Meter weiter und waren angekommen. Zuerst standen wir vor dem verschlossenen Eingangstor, aber Ismael fand eine Klingel und schon wart uns von einem jungen Mann aufgetan. Kurze Zeit später hieß eine sehr nette ältere Dame ihre beiden Gäste herzlich willkommen, führte uns über ein sehr schönes, mit üppig hohen Pflanzen und wie gemalt angelegten Kräuterbeeten, ausgestattetes Gelände. Die Beiden unterhielten sich in Arabisch, ich verstand nur „Bahnhof“ und schaute mich neugierig um. Und dann entdeckte ich SIE, die ich zum ersten Mal im März in Bahariya gesehen hatte und von der ich dachte, SIE nie wieder zu finden. Hier wuchs SIE, eine in voller Blüte stehende Bananenstaude. Für Menschen die hier leben, sicher nichts besonderes, aber für mich ein nie gesehenes Wunderwerk der Natur. Aber genau in dem Moment, als ich sie im vergangenen März in Bahariya, auf meiner Chipkarte verewigen wollte, gab die Kamera den Geist auf. Akku leer! Jetzt nutzte ich die Gelegenheit.
Wir wollten gerade zu den Ausstellungsräumen aufbrechen, als ein in volle Motorradmontur gehüllter Mann durchs Eingangstor gestiefelt kam und sagte: Das ist ja klasse, ich höre, hier wird Deutsch gesprochen! Ja, antwortete Ismael, was gibt’s denn, können wir helfen? Bestimmt meinte er, ich suche das „Salam Camp“, es muss hier in der Nähe sein. Mmm, antworten die beiden Ägypter. Ja ja, fahren sie ein Stücken weiter die Straße runter, da müsste es auf der linken Seite liegen. Der Motorradfahrer dankte und verschwand wieder. (Schade, Gelegenheit vertan: zu gern hätte ich ihn noch gefragt, wo er herkam und wo er hin will, wusste aber zu dem Zeitpunkt noch nicht, dass ich ihn einige Tage später in der Oase Bahariya wieder treffen würde.)
Kurzgeschichte zur Entstehung vom "Ramses Wissa Wassef Art Center": In der Annahme, dass jedes Kind von Natur aus ein hohes Potential an Kreativität besitzt, unternahm der Professor für Kunstgeschichte und Architektur an der Hochschule Kairo, Ramses Wissa Wassef (1911-1974) ein Experiment. Neben dem Töpfern, erlernte er das Weben und gründete in Alt Kairo Anfang der 40er Jahre eine Schule in der er Kinder ermunterte ihre angeborenen Kreativität zu entfalten und freien Lauf zulassen. Er ermutigte sie Dinge zu erschaffen, die allein aus ihrer Fantasie und dem bisher gesehenen - ohne Vorlagen - entsprangen. Nach einer erfolgreichen Testphase gründete er 1951 südlich von Giza, am Rande des Dorfes Harraniya, eine u.a. kindgerechte Wohn- und Werkstattsiedlung, mit dem Ziel, für Kinder und Jugendliche soziales Leben, Erziehung, Bildung, Lebensunterhalt, Kunst- und Kunsthandwerk unter ein Dach zu vereinigen. Er brachte den Kindern bei, sich durch das Weben von Wandteppichen auszudrücken. Bis heute bekommen die dort aufgenommen jungen Menschen Schulbildung-, Ausbildungs- und Berufschancen, mit 18 Jahren eine Sozialversicherung und leben nebenbei ihr Leben in ihren Familien und der Dorfgemeinschaft. Wer nicht bleiben will kann gehen, die die bleiben brauchen keine Angst zu vor evtl. Entlassung zu haben.
Bis zum letzten Knoten dauert so ein Kunstwerk sehr oft Monate, es gibt auch Einzelstücke an denen Jahre gearbeitet wurde und wird. Wir standen z.B. vor einem riesigen, über drei Meter langen herrlichen Wandteppich, der sehr eindrucksvoll die Geschichte Ägyptens erzählt. An ihm hat der Künstler drei Jahre lang gewebt und das, wie alle hier, ohne Vorlage. Viele Leute sind schon in zweiter Generation dort. In den Ausstellungsräumen hängt u.a. der erste Wandteppich eines junges Mädchens, den sie mit 12 Jahren gewebt hat, und daneben einer, den sie mit 58 Jahren fertig gestellt hat. Wer in die Werkstatt aufgenommen wird bekommt auch von Anfang an einen Arbeitslohn. Das zeigt, dass keine Arbeit wertlos ist, stärkt das Selbstbewusstsein und hilft zudem den Familienunterhalt zu sichern.
Bis heute arbeiten viele - inzwischen schon in zweiter Generation im Wissa Wassef-Art-Center.
Wer in der Gegend von Giza oder Sakkara ist, dem kann ich den kleinen Abstecher nach Harraniya unbedingt empfehlen. Und wer ein ganz besonderes Souvenir aus Ägypten haben möchte, der kann so einen nicht ganz günstigen, aber wunderschönen Wandteppich auch käuflich erwerben.
Wissa Wassef Wandteppiche werden inzwischen in vielen Ländern der Welt ausgestellt.
Und im Zeitalter von Sozial-Media ist Wissa Wassef-Art-Center natürlich auch bei Facebook vertreten schaut einfach mal rein - es lohnt sich.
Der Eintritt ins "Wissa Wassef Art Center" ist kostenlos.
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