Skip to content Skip to navigation

Wüstensonne erzählt

Vorgeschichte:
Über die vielen Jahre - und zich Ägyptenaufenthalte hab ich immer wieder Menschen getroffen, die in Ägypten leben. Die meisten in Hurghada, einige in El Gouna und inzwischen auch eine junge Frau, die ein paar Jahre mit Mann und Kindern im Delta lebte.

Es ist schon ein paar Jahre her, da traf ich in einem ÄgyptenForum eine Userin namens Wüstensonne, verlor sie aus den Augen, "traf" sie aber irgendwann wieder. Seit über 13 Jahren lebt sie in Ägypten und seit gut 15 Jahren in der Hauptstadt Kairo, dort haben wir uns im März 2010 getroffen - und ich muss sagen - es war einfach super toll. Wüstensonne hat eine wunderbare Gabe, sie zeigte und vermittelte mir in ein paar Stunden "Ihre Stadt" und zwar aus weiblicher Sicht .. Das hatte was!! Inzwischen haben wir uns schon mehrmals getroffen und sehr interessante Urlaubstage am Roten Meer verbracht.

Schnitt, zurück zum Thema:

Anfang August 2010 las ich dann in einem Foum ein Thema mit den Titel:  "Eure erste Begegnung mit Kairo..." Die Antwort von Wüstensonne hatte mich am meisten berührt!
Hallo!
Bislang haben sich vorwiegend "Touristen" über die Mega-Stadt Kairo geäußert. Nun werde ich meinen Senf als Kairobewohnerin dazu geben. Kairo hat all das, was andere Städte nicht haben, egal ob in Europa oder in anderen arabischen Staaten. Das sind positive, wie negative Seiten.
Meine erste Reise nach Ägypten folgte ins Delta. Reizvoll, auch möglich ein Leben dort zu führen, wenn gewisse Umstände gegeben wären. Während dieser ersten Reise kam ich gar nicht in diese Stadt, lediglich nur an den Internationalen Flughafen. Damals musste man noch durch die halbe Stadt fahren um auf die Zubringerstraße ins Delta zu gelangen. So erlebte ich meine erstes Mal Kairo (wie auch oft später) bei Nacht. Ich dacht nur, klasse so eine beleuchtete Stadt in der Nacht. Es kamen Kindheitserinnerungen auf, als ich mit meinen Eltern als Kind in die zweite Heimat fuhr, und immer des Nachts an Wuppertal vorbei. Welches von der Autobahn in der Nacht gut zu sehen ist, durch die Beleuchtung.
Bei der nächsten Reise standen wir eines Tages am Midan Tahrir. Obwohl ich keine Orientierungsprobleme habe, damals hatte ich sie. Diese Stadtmitte war das reinste Chaos. Hinter uns die Mogamma, links das Hotel, vor uns das Museum, dazwischen eine Baustelle und rechts die Reiseunternehmen. Und dann über diese Straße, ich fühlte nur, dass mein Mann mich am Arm hinter sich herzog. Auf der anderen Straßenseite blickte ich zurück und dachte nur, das kann nicht möglich sein, daß wir da eben noch standen.
Als wir dann nach Kairo umzogen aus dem Delta, verschlug es uns nach Shoubra in die 18. Etage der Agha Khan Häuser. Da sah ich vom Balkon im leichten Dunst in der Ferne zum ersten Mal die Pyramiden von Gizeh.
Aber Shoubra war nicht mein Stadtteil. Da mein Mann nicht einsah mich überall hin zu begleiten, bin ich von Anfang an allein in Kairo unterwegs gewesen. Er meinte nur, du gehst schon nicht verloren und gab mir für den Notfall die Adresse in Arabisch mit. Ich habe diese nie gebraucht. Schnell hatte ich raus, wie die Straßenführungen sind und die der Metro. Ich kann nur jedem empfehlen, Kairo und auch andere Gegenden auf eigene Faust abzulaufen.
Dann zogen wir um nach Helipolis und da war ich dann angekommen. Mein Mann der sich schnell in Shoubra zurechtfand, hatte so seine Probleme mit Heliopolis. In dieser Zeit fing ich auch das Arbeiten an. Bei der ersten Anstellung gab es ein Sammeltaxi, das die Kollegen einsammelte. Während meiner zweiten Anstellung in Nasr City habe ich dann dort den Stadtteil unsicher gemacht. Für mich ist und bleibt Nasr City der verlassene Ostblock. Während der Wintermonate bin ich auch vieles zu Fuß abgelaufen, und schlich dann in Seitenstrassen rum, bis ich so alles in Heliopolis abgegrast hatte.
Und nun seit 2,5 Jahren ist für mich die Innenstadt Kairos mein zu Hause geworden. Ich konnte es mir nicht recht vorstellen, direkt in der Innenstadt zu leben, aber es hat einige Vorteile. Und es ist leichter als gedacht.
Für Kairo ist eines sehr wichtig, egal in welchem Stadtteil man wohnt. Es muss einen Ort haben zum sich zurückziehen zu können. Und das ist in der Regel die eigene Wohnung. Es muss dort alles geben, was man in der Stadt nicht findet. Ruhe, Stille, Sauberkeit, Ordnung.

  • Was ich persönlich an dieser Stadt liebe:
  • Das man sich in dieser Stadt nicht verlaufen kann.
  • Es möglich ist als Frau in der Nacht durch diese Stadt unbehelligt sich zu bewegen.
  • Das es eine Metro gibt.
  • Die vielen Museen.
  • Die Altstadt.
  • Den Schweizer Club in Imbaba. Das ist für mich eine zweite Oase um sich zurückzuziehen.
  • Das ab ca. 3 Uhr morgens die Stadt in einen leichten Schlaf fällt und somit auch in der Innenstadt es mehr als ruhig wird.
  • Den Donnerstagabend, wo auf der Straße das Wochenende eingeläutet wird. Und dennoch sich die Stadt leert, da viele die Stadt für das Wochenende verlassen.
  • Das freitags bis mittags (bis zum Freitagsgebet) die Stadt weiter ihren leichten Schlaf fortführt.
  • Die Stadt hat einen Duft, den ich auch in anderen arabischen Städten nie gerochen habe.
  • Ich liebe es für eine Minute, nach dem Aussteigen aus dem Flugzeug im Sommer, den Dunst, den Smog, dass dieser gegen mich prallt und mir den Atem nimmt.
  • Im Winter dafür die klare kalte Luft auf dem Flughafen.
  • Ich liebe die Wintermonate in Kairo, wie den seltenen Regen, wo sich alle anstellen, als würde der Mensch aus Zuckerwatte bestehen.
  • Den Adhan zum Morgengebet, wo irgendwie alles schläft, aber auf der Straße leichte Bewegungen zu verfolgen sind.
  • Kairo bei Nacht mit seiner Beleuchtung. Kairo hat nachts einen Flair, den es am Tage nicht an den Tag gelegt bekommt.
  • Nachts durch Kairo zu fahren, egal mit welchem Transportmittel.
  • Kairo hat Geschichte, die man sehen und fühlen kann. Irgendwie sind alle Epochen greifbar.
  • Das hier irgendwie jedes kaputte Teil zum Reparieren gebracht werden kann.
  • Wenn es im Winter in Kairo hagelt. Habe ich bislang nur einmal erlebt.
  • Ich mag die Salah Salem Strasse von oben bis unten und wieder zurück, inkl. des Tunnels.

Es gibt auch Dinge, die ich an Kairo hasse:

  • Die vielen Menschen. Für mich ist ein Stadtbummel keine Freude und nach 15 Minuten reagiere ich auf alles mögliche gereizt.
  • Das die Menschen ihren Müll vor aller Augen auf die Straße werfen oder gar vom Balkon.
  • Das die Häuser zum Umfallen gebaut sind, vor allem die Sanitäranlagen. Und im Sommer scheinen alle Häuser leer zu sein, weil die Stadtbewohner sich auf den Straßen tummeln. (Durch die Bauweise, staut sich die Hitze in den Wohnungen.)
  • Das in den Geschäften jeder Schrott aus Asien als das non plus ultra angeboten wird. Für wenig Geld mit der Voraussicht, dass es schnell kaputt geht und dann ein Neues gebraucht wird.
  • Dann man hin und wieder bestimmte Artikel nicht mehr kaufen kann, weil das Geschäft es nicht nachbestellt, obwohl man versichert es abzunehmen.
  • Hygienische Verhältnisse: Man kann z.B. im Haus des Gastgebers vom Fußboden essen, aber eine Begehung der Toilette ist nur per Gummistiefel möglich. Teilweise auch die Küche.
  • Das manche Menschen es mit der Hygiene wenig oder gar nichts ernst nehmen.
  • In den Transportmittel am frühen Morgen auf dem Weg zu Arbeit schon nach Achselschweiß stinkende MitfahrerInnen zu ertragen.
  • Der Egoismus der Kairoanner, der immer mehr zunimmt.
  • Den Sommer, die unerträgliche feuchte Hitze. Es gibt keinen Ort wo man hinflüchten könnte. Ganz Kairo ist im Sommer 24 Stunden auf den Beinen.
  • Wenn die Stadt bebt. Während meiner 10 Jahre Kairo (11 Jahre Ägypten) gab es keine schweren Erdbeben. Aber es gab schon mal heftige Erdstösse.

Ich habe sicher noch einiges vergessen zu erwähnen. Als deutsches Dorfpflänzchen habe ich mich in der Heimat immer geweigert in eine Großstadt wie Hamburg oder Berlin zu ziehen. Für Kairo war ich die treibende Kraft, was sich im ersten Kairojahr schon etwas als hart erwiesen hatte. Aber als Dorfpflänzchen kann man in Kairo leben und überleben. Man braucht Zeit um die Orientierung in dieser Stadt zu begreifen und zu verstehen. Aber man muss auch bereit sein, wenn einen diese Stadt aufnehmen soll, über so einiges hinweg zu sehen.

©Wüstensonne, Kairo 08/2010